Zitat des Tages

Die These „Freiheit schafft Wohlstand“ wird so nicht mehr in der Welt geteilt. (…) Die Krise des Liberalismus wird zur Krise des Multilateralismus.

(Robert Habeck, Grünen-Vorsitzender am 12. November in der DGAP in Berlin bei der Buchvorstellung „Deutschland und die Welt 2030“)

East Side… Ein Aufbruch im Osten

New York hat es vorgemacht: der Osten ist lebendig. So hat trägt auch Berlin seine East Side heute mit Stolz. Und die erwacht rund um den letzten Rest Mauerstreifen Stück für Stück zu neuem Leben.

Gleich in der Nähe des Bahnhofes Warschauer Straße entsteht beispielsweise das East Side Gallery Hotel direkt gegenüber der East Side Gallery. Gleich um die Ecke befindet sich die Mercedes Benz Arena, die gern mit der Nähe zur East Side wirbt.

 

Auch andere wollen von dem großen Namen profitieren – im wahrsten Sinne des Wortes. Nur ein paar Meter weiter hat Anfang November 2018 ein neuer Konsum-Tempel seine Pforten geöffnet: die East Side Mall. Sie ist das 69. Shoppingcenter der Hauptstadt!

Knallig bunt und orange-grauweiß gestreift lockt die Mall. Aber Berlin ist ja immer für eine Überraschung gut: Hier wurde schlicht verboten, das Geländer der Warschauer Brücke zu durchtrennen, um einen breiten Zugang zu ermöglichen. So sollte eine Behelfstreppe die Einkaufslustigen auf den Zugang führen, wo momentan Ballons im Winde treiben. Denn lange brauchte die Bürokratie nicht, um auch das aus Sicherheitsgründen zu untersagen.

 

Aber der Osten hat noch immer eine Lösung gefunden. Und hat zudem im 30. Jahr des Mauerfalls ein neues Selbstbewusstsein erlangt. Auch wenn mittlerweile in diesem Kiez nur noch ganz wenige den Berliner Dialekt beherrschen.

Im East Side Café jedenfalls geht es zu wie beim Turmbau zu Babel. Arabisch mischt sich da am Morgen gern mit Norwegisch und Französisch. Aber der Kaffee – das sollte man nicht vergessen – den haben die Türken nach Europa gebracht. Und der ist hier ausgezeichnet.

 

Übrigens: Die East Side Gallery zwischen Oberbaumbrücke und Ostbahnhof ist als längstes noch erhalten gebliebenes Stück der Mauer Namensgeber des gesamten Viertels geworden. 118 Künstler aus 21 Ländern hatten kurz nach dem Mauerfall die einstige graue Fläche auf 1.316 Metern bemalt. Am 28. September 1990 – kurz vor der Deutschen Einheit – wurde die Open-Air-Galerie eröffnet. Seit 1991 steht sie unter Denkmalschutz.

Aufschlag Merz: 16 Jahre zu spät?

Er gilt als Erfinder der Steuererklärung auf dem Bierdeckel: Friedrich Merz. Damals scheiterte der Unionsfraktion-Fraktionschef an der CSU, wenig später auch an der CDU-Chefin Angela Merkel. Nach 16 Jahren kommt er zurück und will „Verantwortung übernehmen“.

Die Zeit scheint an Merz fast spurlos vorüber gegangen zu sein: etwas schmaler geworden und etwas weniger Haare als damals, als er 2002 gehen musste.

Nur 20 Minuten braucht der CDU-Grande, um am Mittwoch in der Bundespressekonferenz überzeugend die Gründe für seine Kandidatur als künftiger CDU-Vorsitzender zu erläutern. Im Dezember erst wird bei den Christdemokraten gewählt. Aber wenn es nach dem Medienauflauf geht, ist der Ausgang jetzt schon gewiss. Und so sagt Merz diplomatisch, er wolle auch Parteivorsitzender unter einer Kanzlerin Merkel sein. Nur keine Gräben aufreißen.

Ja: Warten ist seine Stärke. Auf diesen Augenblick hat der Wirtschaftsliberale, der immer schon als Rivale von Merkel galt, 16 Jahre gewartet. Die Frage ist nur: kommt er 16 Jahre zu spät?

Der Kreis schließt sich

Er ist am „Sehnsuchtsort“ seiner Studienzeit angekommen: Jürgen Böttcher alias Strawalde. Mit einer großen Einzel-Ausstellung im Schloss Sacrow bei Potsdam ehrt der Verein Ars Sacrow den Maler und Dokumentarfilmer, der in diesem Jahr 87 Jahre alt geworden ist.

Zum Abschluss der mehrmonatigen Ausstellung ist Strawalde selbst noch einmal nach Sacrow gekommen. Zusammen mit seinem Sohn läuft er an einem der schönsten Bilder der Ausstellung vorbei. Erst in späteren Lebensjahren hat der Künstler das Großformat entdeckt.

 

Ende der 1950er Jahre studierte Strawalde in Babelsberg an der dortigen Filmhochschule. Sacrow war damals Sperrgebiet, lag das landschaftlich wunderbare Ensemble doch direkt an der Grenze zu West-Berlin. Von seinem Studenten-Zimmer in Babelsberg konnte er das damals unerreichbare Gebiet sehen.

Mehr als 4.000 Besucher zählte das kleine Museum in Sacrow, was einem kleinen Rekord entspricht. Und der Name der Ausstellung ist Programm: Der Kreis schließt sich. Da, wo er einst als Student gern sein wollte, aber nicht hin durfte, hängen heute seine Bilder. Das macht Strawalde am letzten Tag der Ausstellung am 7. Oktober klar – ausgerechnet an jenem Tag, an dem die DDR vor Jahrzenten immer ihren Geburtstag feierte.

 

Lange hat es gedauert, bis Strawalde anerkannt wurde. Denn nicht nur seine unangepasste Malkunst fand bei der DDR-Nomenklatura kaum Freunde, auch seine – heute als Zeitdokumente unersetzlichen – Dokumentar-Filme waren damals kaum vermittelbar. Dabei hat er mit einem geübten Auge nur auf die Realität geschaut, um so unzulängliche Realitäten zu verändern.

Eines zeigen seine Bilder aber immer deutlich: Strawalde liebte die Frauen. Meist farbenfroh stellt er sie übergroß und manchmal auch übermächtig dar. Und was für ein Einfühlungsvermögen…

 

Nein, Strawalde ist nicht immer einfach. Er mag keinen gelackten Wandschmuck. Nur einfach den reinen Klang der Farbe oder des Elements. Oder einfach nur einen schönen Wort-Klang. Und so heißt eines seiner Epigramme: „Die Muse küsst nie, wen sie küssen soll. Sondern immer nur, den sie will. (Der Willi fand das toll)“. Da fragt sich der geneigte Betrachter: Wer ist Willi?

Zitat

Als Journalisten haben Sie nicht die Aufgabe, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen. Ihre Aufgabe ist es, sie auf Dinge aufmerksam zu machen, über die sie nachdenken sollten.“

Der US-Journalismusforscher Jay Rosen, der sich über drei Monate in Deutschland aufgehalten hat, an die deutschen Medienvertreter.

Gabriel und die doppelte Moral

Seit einem halben Jahr ist Sigmar Gabriel nicht mehr Vizekanzler. Und hatte sich in die politische Schmollecke zurückgezogen. Jetzt läuft er wieder zur Höchstform auf. Bei der Buchvorstellung des Herder-Verlags „Wir verstehen die Welt nicht mehr“ las er der politischen Elite die Leviten.

Deutschland soll strategisch erwachsen werden. Das fordert der Ex-Außenminister und warnt davor, in der Außenpolitik den Diskurs auf die NATO zu reduzieren, das sei „unterkomplex“.

 

Der Tenor von Gabriel ist einfach: Moral muss man sich leisten können. „Wir tun etwas, was moralisch richtig ist, und wundern uns, dass uns andere nicht folgen.“ Und fragt zugleich: „Ist es eine kluge Idee, dass wir auch moralischer Führer sein wollen?“

Da möchte man antworten, eher nicht – solange wir nicht die Frage nach unseren geostrategischen Interessen geklärt haben. Oder um es mit dem Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolgang Ischinger, zu sagen: „Deutschland sollte seine Sicherheitsinteressen selber definieren – anhand der konkreten Gefahrenlage, und sich nicht an international festgelegten Punkten orientieren.“

Sing dela Sing

Das einzige Naturschutzgebiet inmitten einer Stadt liegt in Berlin: der Naturpark am Priesterweg. In dieser einzigartigen Kulisse singen an einem lauen Sommerabend fast 500 Stimmen laut zu wunderbaren Songs, die zwei begnadete Musiker vorsingen. Das ist „Sing dela Sing“. Einfach mitmachen!

Das Wahrzeichen des Naturparks ist ein alter, rostiger Wasserturm. Er gehört zu den 13 Hektar großen Gelände, das einst eine Lokreparatur-Werkstatt war. Nur noch eine von drei Hallen, eine Menge Gleise und ein altes Drehgestell erinnern an das frühere Werk der Deutschen Reichsbahn, das im Krieg weitgehend zerbombt wurde. In den kommenden Jahren soll zumindest der letzte Lokschuppen saniert werden.

Stolz erzählt ein Parkwächter die Geschichte des Parks, der für einen Euro Eintritt von bis zu 3.000 Menschen täglich besucht wird. „Wir haben hier auch Gruppen aus China oder Australien, weil der Park zu den Higlights der Landschaftsgärtnerei gehört. Das interessante ist nämlich, das hier nichts künstlich angelegt wurde, sondern sich die Natur die ehemalige Industrie selbst zurückerobert.“

Das einzig Künstliche ist eine 800 Meter lange, begehbare Installation. Sie ist damit das größte Kunstwerk der Stadt – und nur Insidern bekannt. Passend dazu steht am Eingang: Kunst ist der nächste Nachbar zur Wildnis.

in dieser kleinen Idylle hat die Shakespeare-Company einen wunderschönen Spielort gefunden. Wenn sie nicht auftritt, können andere Künstler  diesen einmaligen Ort für Ihre Ideen nutzen. Und beispielsweise einzuladen, drei Stunden gemeinsam zu singen. Ein unbeschreibliches Erlebnis!

Was für ein Abend. Was für eine Kulisse. Und was für eine Idee. Denn mittlerweile haben auch andere Künstler das verfallene und naturüberwucherte Gelände als hervorragenden Hintergrund für Ihre Eigenwerbung entdeckt. Zahlen müssen sie dafür nichts. Sie müssen nur bereit sein, mindestens eine Stunde kostenlos hier zu spielen. Und davon wird regen Gebrauch gemacht.

Übrigens: Der Naturpark ist sogar europaweit einzigartig. In keiner anderen Stadt auf dem Kontinent gibt es ein Landschaftsschutzgebiet inmitten in der City. Und zu Weihnachten wird der Park sogar erleuchtet…

Der singende Baggerfahrer

Nur 43 Jahre alt ist „Gundi“ Gundermann geworden – und ein Phänomen. Er war Baggerführer in einem Lausitzer Braunkohle-Tagebau. Und ein begnadeter Singer/Songwriter, wie es heute heißt. Jetzt hat ihm der Regisseur Andreas Dresen ein filmisches Denkmal gesetzt. Einfach grandios! Am 18. August fand der Film seine Berliner Premiere.

Der Premierenort passte einfach: Sommerkino am Berliner Kulturforum. Denn der Film ist weit mehr als nur ein Biopic eines DDR-Liedermachers. Gerhard Gundermann war nicht nur Poet und Prolet, sondern eine an Widersprüchen reiche, vielschichtige Persönlichkeit. Einer, der an etwas glaubte, der etwas verändern wollte und lange auch für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet hat. Und der Lieder zum Denken und Träumen verfasste.

Wie bringt man diese Biografie auf Zelluloid? Wie erzählt man die Geschichte von einem, der sich nicht entschuldigen will, weil er sagt, das könne er nicht selber tun, weil Vergebung nur von anderen kommen kann? Wie kann man Lieder von ihm einfangen, die heute – mehr denn je – Menschen zutiefst berühren?

Zehn Jahre hat es gedauert, ehe das Drehbuch fertig war. Laila Stiehler ist etwas gelungen, das einen sehr persönlichen, fast intimen Einblick in die Welt von Gundermann und vor allem in das Lebensgefühl der Ostdeutschen gibt. Etwas, das Widersprüche nicht ausklammert. Sondern nachvollziehbar macht. Am diesen Abend steht die ganze Crew vor der Leinwand und bekommt sehr verdient einen lang anhaltenden Applaus.

Realität in Erinnerung sind immer zwei Sachen. Schuld und Gewissen auch. Aber einen Film zu sehen, der ohne Zeigefinger das ehrliche Ringen mit der Vergangenheit zeigt – einer Vergangenheit, die innere Überzeugung, aber auch Ausflüchte, Verdrängen und Entsetzen über den Verrat kennt, das ist einzigartig.

Übrigens: Viel ist in jüngster Zeit über „kulturelle Aneignung“ geredet und geschrieben worden. Aber hier haben Westdeutsche im besten Sinne des Wortes ein Stück ostdeutsche Geschichte geschrieben.

Und zu guter Letzt noch ein Link zu dem wohl berührendstem Lied von Gehard Gundermann – der es seiner Tochter Linda gewidmet hat. https://m.youtube.com/watch?v=TyeXtOvGP-g

Zitat

Heimat ist dort, wo sich Menschen wohl, akzeptiert und geborgen fühlen. Heimat hat nichts mit Enge zu tun, sondern gibt Orientierung und vermittelt einen festen Halt, die Herausforderungen des Lebens zu bestehen und nach vorn zu blicken.

(Regierungs-Definition in der Bundestagsdrucksache 19/3559, die dem Heimatbegriff ein „modernes Verständnis“ zugrunde legen will)