Zahl des Tages: 118

Es sind exakt 118 Stufen bis ins Dachgeschoss des Doberaner Münsters. Immer über eine enge Wendeltreppe. Aber oben angekommen kann man dort den Glocken lauschen – die schwerste hat gut 800 Kilogramm und ist eine Kopie. Aber die kleinere Glocke mit ihren 320 Kilogramm ist noch das Original aus dem 14. Jahrhundert!

Der Münster in Bad Doberan gilt als „Perle der norddeutschen Backsteingotik“. Im 13. Jahrhundert errichtet fasziniert es heute noch jedes Jahr Zehntausende Besucher.

Und: In keinem anderen Zisterzienser-Kloster europaweit blieb die mittelalterliche Ausstattung so gut erhalten wie in Bad Doberan. Ein Besuch lohnt sich unbedingt – auch das Treppensteigen.

Ein Erbe von Roggow

Zu Gast bei einem Schlossherren: Am letzten Tag des Jahres 2017 lädt Peter von Oerzten zu einem Besuch seines Herrenhauses in Roggow ein. Über Jahrhunderte war die Familie in Mecklenburg eine feste Burg. Bis 1945 alles endete. Die 925 Hektar wurden enteignet.

Der Hausherr, Jahrgang 1940, ist stolz auf die Tradition der Familie von Oertzen. Gern erzählt er von der wechselvollen Geschichte. Erst 1991 kaufte er das älteste Gebäude der weit verzweigten  Familie zurück, das bereits im 14. Jahrhundert erstmals erwähnt wurde.

Stück für Stück renoviert der einstige Kaufmann das Herrenhaus, das zu DDR-Zeiten ein Heim für 12 Familien war. Kurz vor der Wende wurde es leergezogen, damit daraus ein Kinderheim entstehen sollte. Aber die Geschichte wollte es anders: das Objekt fiel an die Treuhand.

Mit viel Enthusiasmus und einer gehörigen Portion Selbstvertrauen kaufte von Oertzen den uralten Stammsitz zurück und machte sich an die Rekonstruktion des alten Gemäuers. Heute finden hier sogar wieder Hochzeiten statt.

“Ich wollte es noch mal wissen und etwas Neues beginnen“, sagt von Oertzen, der zuvor mehr als ein Vierteljahrhundert bei Villeroy & Boch gearbeitet hat. Im Osten fand er nicht nur seine Tradition, sondern auch eine Frau und gründete seine eigene Familie.

2018 wird ein besonderes Jahr: Dann bekommt auch der Familienspruch aus dem Jahr 1666 seinen neuen Stammplatz. Ein Inhalt übrigens, der auch nach 450 Jahren aktuell ist.

Zitat des Tages

Wenn man die Leute wie Idioten behandelt, werden sie sich auch so benehmen.

(Der niederländische Verkehrsplaner Hans Monderman, der für die weitgehende Abschaffung des Schilderwaldes auf städtischen Straßen rät.

Aber vielleicht ist der Ratschlag ja auch viel weiter zu verstehen…. )

Zigeunerlieder an Stalins Ohr

Eine „Gypsi Fiesta“ ist immer ein Erlebnis. Denn das ist in Lieder gegossene Lebensfreude. Aber wenn ein solcher Abend im Café Sibylle in der einstigen Stalin-Allee stattfindet, der heutigen Karl-Marx-Allee, dann ist es schon etwas ganz Besonderes: Denn nur wenige Meter von der kleinen Bühne entfernt befindet sich Stalins Ohr – der letzte Überrest der einst größten Stalin-Statue auf deutschem Boden.

Am 3. August 1951 wurde das Stalin-Denkmal in der Nähe des Strausberger Platzes enthüllt. Der Bronze-Koloss war 4,60 Meter hoch und zweieinhalb Tonnen schwer. In der Nacht zum 14. November 1961 wurde er geschleift. Heute ist nur noch ein Ohr und etwas von seinem Bart übrig. Ausgestellt in dieser kleinen Holz-Vitrine.

Die Frankfurter Allee war übrigens anläßlich von Stalins 70. Geburtstag am 21. Dezember 1949 in Stalinallee umbenannt worden. Im November 1961 wurde sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nur wenige Monate nach dem Mauerbau in Karl-Marx-Allee umbenannt. Heute gehört diese 2,6 Kilometer lange Allee zu Europas wichtigsten Archtitekturensembles und steht unter Denkmalschutz.

An der Wand des Café Sibylle – einst eines der beliebtesten Cafés in Ost-Berlin – sind heute noch die Malereien aus den 1960er-Jahren zu erkennen. Und in einer Ecke stehen noch eine alte dreiarmige Lampe, die nach dem Krieg so manches Wohnzimmer schmückte. Ein Hauch der Ulbricht-Ära.

Am Mikrofon sang sich an diesem Abend Karola Nitsch in die Herzen des Publikums. Zusammen mit Ihrer Patchwork-Familie – darunter auch Karsten Troyke. Stimmgewaltig und gerade auch an diesem Ort berührend. Sehr gelungen.

Deutsche Schuld, deutsche Verantwortung

Den Menschen im Mittelpunkt stellen – was Parteien heute versprechen, ist für die Stiftung Neue Synagoge Berlin etwas Selbstverständliches. Im einst größten jüdischen Gotteshaus Europas erzählt Leon „Henry“ Schwarzbaum den rund 250 Gästen aus seinem eigenen, unglaublichen Leben.

Mehr als sechs Millionen Juden wurden im Zweiten Weltkrieg ermordet – über die Hälfte der damaligen jüdischen Weltbevölkerung, betont Schwarzbaum. Es ist, so formuliert es der Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, „deutsche Schuld und deutsche Verantwortung“.

Leon „Henry“ Schwarzbaum – geboren 1921 in Hamburg – kam nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1939 in Polen ins Ghetto, floh 1943, wurde kurz darauf gefangen und kam unmittelbar darauf nach Auschwitz. Später wurde er in die Konzentrationslager nach Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt und wurde 1945 auf den Todesmarsch geschickt. Nahe Schwerin wurde er von US-Truppen befreit.

In Auschwitz war Schwarzbaum Zeuge,  wie die fast 3.000 verbliebenen Sinti und Roma ermordet wurden. „Wir werden heute Zeugen von Zeitzeugen“, sagt die Direktorin der Stiftung Neue Synagoge. Und kurz darauf fragt der heute fast 97-Jährige: „Ich möchte immer noch wissen, warum damals so viele mitgelaufen sind?“

Schwarzbaum erzählt mit erstaunlich klarer, zuweilen auch fast brechender Stimme von dem Leid und davon, dass 35 seiner Familienmitglieder von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Anne Will, die den Abend moderiert, greift die Worte des jüdischen Zeitzeugen auf, der sagt: „Es gibt kein Verzeihen oder gar Vergebung“.

Auszeit im Vertical Garden

Ein Hauch von Urwald in der City – das verspricht das Kulturkaufhaus Dussmann an der Friedrichstraße. Und das ist nicht zu viel gesagt: Über mehrere Etagen hinweg hat der französische Botaniker Patrick Blanc seine „Mur Végétal“ geschaffen, eine grüne Mauer oder den vertikalen Garten. 2012 wurde das lebende Kunstwerk eingeweiht.

Insgesamt 6.672 Exemplare aus 157 Arten schmücken die Wand, die sich über 18 Meter Höhe erstreckt. Umgerechnet ergibt das eine Fläche von 270 Quadratmetern insgesamt.

Das Wasser, das beständig die Wand herunterfließt, wird in einem extra Becken aufgefangen. 16.200 Liter umfasst dessen Volumen. Ubd in einem kleinen Becken daneben sind sogar Goldfische zu bewundern.

Tipp: Ein idealer Ort für eine kleine Auszeit. Buch lesen ist hier ausdrücklich erwünscht!

Schweine können fliegen

Was ist das? Ein überdimensioniertes rosarotes Schwein schwebt am Bundestag. Und versucht, eine Botschaft zu verbreiten. Aber für was? Eine  Werbung für das Pink-Floyd-Album „Animals“ Reloaded? Ein Marketing-Gag eines Spielzeugherstellers? Oder?

Nein, es ist die Umweltorganisation Greenpeace, die das absehbare Ende der Sondierungsgespäche zur Regierungsbildung nutzt, um bei der künftigen schwarz—gelb-grünen Koalition das Tierwohl einzufordern. Die Parteien hatten, wie kurz zuvor bekannt wurde, ein 125-Punkte-Papiers diskutiert. Das Schwein kam darin offensichtlich nicht vor.. 

Übrigens: Angebunden ist das Schwein am sogenannten Mierscheid-Steg, der das Paul-Löbe-Haus mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus verbindet. Benannt ist der Übergang nach dem (fiktiven) Bundestagsabgeordneten Jakob Maria Mierscheid. Über fast zwei Jahrzehnte geisterte die Erfindung der SPD-Fraktionspressestelle durch die Politik und die deutsche Medienlandschaft.

Ein Halleluja für Leonard Cohen

Gibt es eine Religion, die einen explizit auffordert, mit Gott zu streiten? Ein Mann sagt: ja – Leonard Cohen. Begnadeter Musiker, Wortschöpfer und Jude. Es ist, so bekannte er einmal, seine jüdische Religion. Zum ersten Todestag dieses Ausnahme-Sängers bringen deutsche Künstler im Berliner Varieté Wintergarten seine Lieder in Erinnerung.

Zu den gut ein Dutzend Künstlern gehört auch Karsten Troyke. Bekannt wurde er durch seine Interpretation jiddischer Lieder. Diesmal singt der Mann mit der rauchigen Stimme, der immer mit Hut und Weste auftritt, wie viele seiner Kollegen die Stücke von Cohen in Deutsch.

Neben Berlin gedenkt an diesem Tag auch Montreal der Stimme, die im Chor der ganz Großen fehlen wird. Denn  Cohen war, was wenige wissen, Kanadier. In der deutschen Hauptstadt ist es Marianne Rosenberg, die bei den 30. Jüdischen Kulturtagen noch einmal eindringlich Cohens Hymne erschallen lässt: Halleluja!

Übrigens: Cohen erzählte einmal, wie er mit Bob Dylan Taxi fuhr und Dylan in der Zeit den Text zu zwei Liedern entwarf. Er selbst, so Cohen, habe auf dieser Fahrt gerade mal ein einziges, treffendes Wort für ein Lied gefunden. Auch dazu: Halleluja, Leonard.

Zitat der Woche

“Das ‚Parlament der Bäume‘ ist ein Grundstück, das durch den Bebauungsplan als Vorbehaltsfläche für eine mögliche Erweiterung des Deutschen Bundestages eingestuft ist.“

Kultur-Staatssekretärin Monika Grütters auf eine Grünen-Anfrage.

Das von Ben Wagin 1990 errichtete Denk-Mal umfasst nicht nur rund 100 Bäume, sondern auch die einzigen im Regierungsviertel noch zu besichtigen größeren Reste der Berliner Mauer.

Übrigens: 2018 läuft das zehnjährige Nutzungsrecht für den kleinen Streifen zwischen Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und der Bundespressekonferenz aus.

Sophie, die Kirchenstifterin

Die Sophienkirche in Berlin Mitte: ein Ort mit Geschichte.  1713 geweiht trägt sie den Namen ihrer Stifterin Sophie Luise von Mecklenburg-Schwerin. Die Ehefrau des Preußen-Königs Friedrich I. spendete aus eigener Schatulle 4.000 Gulden für den Bau einer evangelischen Kirche in der Spandauer Vorstadt, hier predigte 1964 auch Martin Luther King bei seinem überraschenden Besuch in Ost-Berlin. Ein guter Anlass, am Reformationstag diese lutherisch-evangelischen Kirche einmal zu besuchen.

Die Stifterin ist mit einem eigenen Bildnis in der Kirche vertreten. Das Porträt wurde übrigens erst 2012 wieder aufgefunden und restauriert, nachdem es mehrfach übermalt worden war. Jetzt strahlt das Gemälde wieder im alten Glanz.

Übrigens: Der 69 Meter hohe Turm der Sophienkirche ist der letzte original erhaltene barocke Kirchturm Berlins. Jedes Jahr zu Weihnachten erklingt von oben ein beeindruckender Posaunenchor.