709 – Das größte Parlament aller Zeiten

Der 19. Deutsche Bundestag wird größer als je zuvor in seiner Geschichte. Mit 709 Abgeordneten liegt er nicht nur um 111 Paramentariern über der gesetzlichen Soll-Größe, er ist er zugleich das größte demokratisch gewählte Parlament der Welt. Genau ein Monat nach der Bundestagswahl findet in Berlin im Reichstagsgebäude die konstituierende Sitzung statt.

Solange der neue Bundestsg sich nicht konstituiert hat, ist der alte noch im Amt. So braucht schon diese Sitzung gute eine Tagesordnung, dürfte doch schon der Auftakt spannend sein.

Der erste Antrag kam von der rechtspopulistische AfD, die gern zu Beginn den geplanten Präsidenten Hermann Otto Solms (FDP) entmachtet hätte. Ihr Antrag 19/2 trägt den Titel „Grundsatz der Diskontinuität in der konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestages“. Ziel ist es, statt eines Präsidenten nur einen Versammlungsleiter zu wählen, der dann die Geschäfte dem Alterspräsidenten übergibt – und der wäre einer von der AfD.

Solms eröffnet die konstituierende Sitzung des Bundestages um Punkt 11 Uhr. Bei der Begrüßung der Ehrengäste – neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sind es mehrere frühere Parlamentspräsidenten – erhält Norbert Lammert den größten Beifall. Der CDU-Politiker hatte jahrelang mit umfassender parlamentarischer Erfahrung und Witz den Bundestag um so manche Klippe herumgeschifft.

Der Antrag der AfD wird von Solms als erster aufgerufen – und mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der AfD abgelehnt. Kurz vor Sitzungsbeginn hatte die Unions-Fraktion noch mit einem eigenen Antrag zur „Weitergeltung von Geschäftsordungsrecht“ gekontert, der die Nummer 19/1 bekam.

Ausgewogen redet Solms und mahnt: „Wir alle haben das gleiche Mandat“, wofür er Beifall aller Parlamenterier erhält. Beim Zusatz: „…aber auch die gleichen Pflichten“ schweigt der rechte Flügel. Da sitzt die AfD. So wird gleich zum Start der neuen Legislaturperiode eines klar: Der Ton wird rauher.

Pojechali, Tucholsky!

Jörg Braunsdorf ist Buchhändler aus Passion. Fast zehn Jahre betrieb er eine Buchhandlung im Auswärtigen Amt. Jetzt hat er in der Tucholskystrasse „seine Buchhandlung“ gefunden: Tucholsky. Dieser sagte mal: „Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.“ So lädt Braunsdorf seit längerem zu Sonntags-Matineen ein – diesmal mit dem früheren russischen Botschafter Jewgeni Schmagin.

Memoiren sind langweilig? Die Schreiber eingebildet? Der Inhalt fragwürdig? Drei Mal ein großes Nein! Davon konnten sich fast 50 Menschen in dem kleinen Raum selbst überzeugen.

„Meine Botschaft“ lautet der Titel des Buches, das im Russischen „Im Dauerlauf über die Stufen des Außenministeriums“ heißt. „Ein wunderbares Panorama der Erinnerung von der Sowjetunion bis hin ins heutige Russland“, sagt der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses, Michael Harms, bei der Buchvorstellung,

Schmagin selbst beschreibt diese Zeit lieber als Periode des Aufbruchs. Die Russen haben dafür ein Wort: „Pojechali“. Was soviel bedeutet wie: Los geht’s. Eigentlich, so der Diplomat, bezeichnet das Wort grammatikalisch die Vergangengeit. Und blickt inhaltlich zugleich in die Zukunft. „So ist das wohl mit den Russen: Wir verbinden ‚Zurück in die Zukunft‘ mit ‚Vorwärts in die Vergangenheit‘.“

Zuletzt ruft Schmagin noch zu einem Besuch von Gifhorn auf, wo bei Hannover eine russisch-orthodoxe Kirche steht. 27 Meter hoch, aus Lärchenholz und ganz ohne einen einzigen Nagel. Ein Symbol für Russland mitten in Deutschland und für mehr als drei Jahrhunderte enge Verbindung beider Länder. Auch wenn davon momentan wenig zu spüren ist.

Auf der Suche nach der Schwampel

Das Wort klingt nicht nett: Schwampel. Aber es ist nichts anderes als die Worte „schwarze Ampel“ zusammengezogen. Dahinter verbirgt sich jedoch die Beschreibung eines politischen Versuchs, in einer Regierung Parteien zu vereinen, die zumindest im Wahlkampf unvereinbar schienen. Daher auch der krampfhafte Versuch von CDU/CSU, FDP und Grünen, lieber von Jamaika zu reden. Klingt netter.

Drei Wochen nach der Bundestagswahl mit dem überraschenden Endergebnis starten am Montag in Berlin die Sondierungsgespräche. Im Haus der Bundespressekonferenz versuchen die Beteiligten zu erklären, warum ihr Wahlkampfgetöse nur noch ein „Geschwätz von gestern“ sein soll.

Kein einziger Beobachter rechnet damit, dass noch vor Weihnachten eine neue Regierung steht, sind doch allein für die Sondierungen wochenlange Gespräche angesetzt. Erst danach kommen die Koalitionsverhandlungen. Und dann müssen deren Ergebnisse noch von Parteitagen bestätigt werden. Super!

So ist momentan nur eines klar: Angela Merkel war, ist und bleibt Bundeskanzlerin. Zugleich muss die SPD jetzt über Monate hinweg den Spagat hinbekommen, in der schwarz-roten Regierung weiter Politik zu gestalten und zugleich im neuen Bundestag als Opposition die (eigene) Regierungsarbeit harsch zu kritisieren.

Irrsinn? Mitnichten!

Licht.Kunst.Festival.

Jedes Jahr im trüb-grauen Herbst ist es ein Höhepunkt: das Festival of Lights. Über 40 Gebäude in Berlins Mitte erstrahlen durch das Lichterfestival in einem besonderen Glanz. Aufwändige 2D- und teilweise auch 3D-Animationen verleihen etwa dem Bebelplatz und der nach sieben Jahren Bauzeit neu eröffneten Staatsoper eine neue Hülle.

Ganz besonders bunt hat sich die St.-Hedwigs-Kathedrale geschmückt, die einzige große katholische Kirche im Zentrum der Hauptstadt. Vor einigen Wochen fand hier noch der Gottesdienst zum Abschied von Alt-Kanzler Helmut Kohl statt.

Zehn Nächte werden die Gebäude in ungewohntes Licht getaucht. Ein besonderer Höhepunkt ist in diesem Jahr zweifelslos die Humboldt-Universität, wo McDonalds lauter Kinderzeichnungen auf die Fassade der Alma Mater projizieren lässt.

Diese Installation soll ein Dankeschön für rund drei Millionen Euro an Spendengeldern sein, die die Fastfoodkette jedes Jahr erhält. Eine bunte Welt von Kinderträumen…

Die Lichtshow ist bis zum 15. Oktober jeden Abend ab 19:00 Uhr zu bewundern. Punkt Mitternacht versinkt Berlin dann wieder im Dunklen.

Zitat der Woche

Demokratie ist kein Yoga-Kurs, in dem alle den gleichen Grundton finden müssen.

(Ein internationaler Wahlbeobachter aus den USA,  der auf Einladung des DAAD den Wahlkampf 2017 zur Bundestagswahl  begleitet hat)

Zahl der Woche: 12.000

Es ist ein Bau der Superlative: 260.000 Quadratmeter groß, gut 600 Pkw-Stellplätze und mehr als eine Millarde Euro teuer – der Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin Mitte. Und mit seinen gut 14.000 Fenstern und 12.000 Türen ist er größer als jedes Bundesministerium.

Bereits 2006 erfolgte der Spatenstich. Aber mehrere teils kuriose Pannen verzögerten die Fertigstellung – von verschwundenen Bauplänen über defekte Klimaanlagen bis hin zu geklauten Wasserhähnen. Aber mittlerweile sind die ersten 170 Mitarbeiter eingezogen. Weitere 3.800 sollen aus Pullach noch folgen.

Von Luder zu Luther

Als vor 500 Jahre Martin Luder seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlug, war zugleich ein neuer Name geboren: Luther. So nannte sich fortan der große Reformator. Dessen Argumentation gegen den Ablasshandel spaltete die Kirche und schuf zugleich ein neues Selbstverständnis der neuen Kirche. Fröhlich, frei und selbstbewusst.

Heute ist die wohl berühmteste Kirchentür der Welt aus Bronze und zeigt die 95 Thesen, die die Kirchenwelt veränderten. Aber zu Lebzeiten Luthers im 16. Jahrhundert war sie noch aus Holz – und wurde gern von den Akademikern der Wittenberger Universität als Anschlagbrett genutzt.

Gut 16 Wochen feierten die Lutheraner in diesem Jahr das halbe Jahrtausend Reformation. Und Wittenberg als geistiges Zentrum dieser weltweiten Bewegung erstrahlte in neuem Glanz. Ob Luther-Bibel, Luther-Bier oder Luther-Nudel, für jeden war etwas dabei.

Auch Playmobil ließ sich etwas einfallen – und schuf eine Luther-Figur für die Kleinen. Was keiner ahnte: Es wurde die beliebteste Figur in der Geschichte der Spielwarenfabrik aus Zirndorf bei Fürth. Mehr als eine Million Figuren wurden bereits verkauft.

Hoch spannend auch die Bibel-Ausstellung mit der größten Bibel der Welt, die nicht zu tragen ist, und der kleinsten Bibel, die, viel kleiner als ein Reiskorn und in ein Kreuz eingebettet, nicht zu sehen ist. Dazu noch jene Bibel, die mit auf dem Mond war und die Heilige Schrift aus dem Besitz von Elvis Presley. So lässt sich trefflich sagen: Die Reformation war die erste gelungene Pressekampagne der Geschichte.

Übrigens: Im Mittelalter wurden die meisten Bücher mit Schnallen verschlossen. Um so ein wertvolles Buch zu öffnen, wurde kurz mit der Hand mal drauf geschlagen. So entstand der noch heute gebräuchliche Ausdruck „ein Buch aufschlagen“. Damals war das noch wortwörtlich zu nehmen.

Unser Bild des großen Reformators ist wohl geprägt durch die Porträts von Lucas Cranach, dem Älteren. Der Maler, eng befreundet mit Luther, produzierte in den 1520er-Jahren eine ganze Bilderserie – von Luther als Mönch über Luther mit Doktorhut bis hin zu Luther als Junker Jörg (das ist der mit dem Tintenfass auf der Eisenacher Wartburg). So kann man ohne Übertreibung sagen: Cranach gab der Reformation ein Gesicht.

Ein Date mit der Demokratie

Acht Pressekonferenzen in zwei Tagen – so was gibt es nur am Tag der Offenen Tür der Bundesregierung. Mit dabei die Bundespressekonferenz BPK, wo Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel auf spitze Fragen schon mal zurückschoss: „Wenn Deutschland die diplomatischen Beziehungen zu jedem Land abbrechen würde, das keine Demokratie ist, würden wir viel Geld im Auswärtigen Amt sparen.“

Auch die Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sarah Wagenknecht, kam und versuchte, in die großen Fussstapfen ihres Vorgängers Gregor Gysi zu treten. Wenn es nach dem Besucherinteresse ging: gelungen. Anschließend gab es noch ein TV-Interview.

Mehr als 6.000 Besucher kamen am Tag der Offen Tür der Bundesregierung ins Haus der Bundespressekonferenz. Ein gutes Drittel mehr als im vergangenen Jahr, was erstmals zu langen Schlangen führte und die Organisatoren schlicht überraschte.

Übrigens: Highlight des Wochenendes war zweifellos Innenminister Thomas de Maizière. Von ihm erfuhren die Gäste, dass er noch nie eine Ordnungswidrigkeit begangen habe. Kein Wunder: Seit Jahren sitzt der CDU-Politiker nicht mehr selbst hinterm Steuer, sondern wird gefahren. Da liegt die Knöllchen-Gefahr nun mal Nähe Null.

Bye, bye Big Ben

Vier Jahre lang werden wir den Glockenschlag unseres Berliner Partnerturms Big Ben in London wohl vermissen müssen. Denn am Dienstag erklang die Glocke am Westminster Palace vorerst zum letzten Mal. Die Schweigejahre werden die längsten sein seit Anbeginn des traditionellen Spiels im Jahr 1859.

Bis 2021 sollen die Restaurierungsarbeiten dauern. Aber die ersten Abgeordneten drängeln schon, dieses Symbol der britischen Demokratie schneller wieder erklingen zu lassen.

Nun ja: Wenigstens zu Silvester soll die Glocke mit dem markanten Vier-Ton schlagen.

Übrigens: Big Ben ist mit 13,5 Tonnen die größte der fünf Glocken in dem Turm, der seit 2012 offiziell Elizabeth Tower heißt. Diesen Namen erhielt er zu Ehren des diamantenen Thron-Jubiläums von Königin Elizabeth II. Aber für die Menschen bleibt er wohl auf ewig der „große Benjamin“.

Zu Besuch bei Hermann Tietz

Der jüdische Friedhof in Berlin Weißensee gilt als größter noch erhaltener jüdischer Friedhof Europas. 1880 eröffnet haben hier mehr als 115.00 Beisetzungen stattgefunden. Selbst den 2. Weltkrieg überstand er fast unbeschadet. Nur 68 Bombeneinschläge verwüsten etwa 4.000 Grabstätten.

Grabmale herausragender Persönlichkeiten sind auf dem Friedhof zu finden – etwa Hermann Tietz, der Gründer des Warenhauskonzerns (zu dem auch das spätere Kunsthaus Tacheles gehörte), Samuel Fischer, der Gründer des namhaften S. Fischer Verlags oder Berthold Kempinsky, Gründer des Weinrestaurants M. Kempinsky u. Co. oder Adolf Jandief Kaufmann, der Gründer des heutigen KaDeWe.

Zwei Dinge sind ungewöhnlich: Männlichen Besuchern ist das Betreten des Friedhofes nur mit Kopfbedeckung gestattet. Und wer die hebräischen Lebensdaten der Verstorbenen lesen kann, wird etwas irritiert sein. Denn sie werden nach dem jüdischen Kalender verzeichnet. Der begann 3.761 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung!

Gern wird die Stätte auch von Malkursen genutzt, denn das historisch und architektonisch einmalige Ensemble schärft den Blick für Details.

Übrigens: Zu Ehren der Toten wird oft ein Stein auf das Grab gelegt, Blumen sind unüblich. Erst in jüngerer Zeit kam mit den osteuropäischen Juden neben Blumen auch eine Grabbepflanzung.